Nachtgedanken: zum Werk Nils Frankes

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Meine Idee ist, literarische Texte zum Werk in Leipzig ansässiger Künstler zu verfassen. Ich möchte meine Eindrücke schildern, um die Leser auch auf weniger bekannte Künstler (vorrangig aus Malerei und Grafik) der Stadt aufmerksam und ihre Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.


Bärtiges Deutsches Mädel 2, 35x40cm, Öl auf Leinwand. Werk von & © Nils Franke
Bärtiges Deutsches Mädel 2, 35x40cm, Öl auf Leinwand. Werk von & © Nils Franke

Nachtgedanken: Teil 1

Nils Franke nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, ja fast zu einer hypnotischen Regression, der sich kein Betrachter so leicht entziehen kann.

Es sind Bilder von bestechender Klarheit, die völlig ohne Schnörkel und Brimborium auskommen und in denen man aus der Unberechenbarkeit von Nils Frankes Humor in den Kindergesichtern auch die Masken wachsen sieht, die sie als Schutzschilde zu tragen scheinen.

Was haben sie gesehen, von ihrer Zeit aus der sie uns erscheinen, wenn sie da so weise schauen?

Schnell bekommt man das Gefühl, dass die Bärte der Mädchen nicht bloß ein Wortwitz aus BDM sind, sondern vielmehr vom schnellen Erwachsen-Werden-Müssen sprechen, das ihnen in Kriegszeiten abverlangt wurde und unter dem sie die Spielsachen mit den Gegenständen des Haushalten-Müssens, des Versorgens und Ums-Überleben-Streitens tauschten.

Wohin wollen sie uns führen, wenn sie aus dem nachtschwarzen Schatten in unser Blickfeld treten, als wollten sie uns in ihr Geheimnis einweihen, von dem sie uns hinter vorgehaltener Hand und im dunklen Flüstern ein Stück preisgeben?

Einmal mehr scheint sich Nils Franke auch zu belustigen, wenn er uns die hübschen Jungs – auch diese nicht ohne historischen Bezug – in homoerotischer Pose wie kleine Diven weiß geschminkt mit Schönheitsfleck vorführt.

Selten geworden sind mit der Zeit die Bilder, mit denen uns Nils Franke über Collagen aus Insekten, hier vornehmlich Fliegen und andere Wirbellose, in eine weitere Welt des Unscheinbaren und Rätselhaften lockt und uns eine ganz eigene Vergänglichkeit vor Augen führt.

Fast ist das Knistern der Flügel oder das Surren der Fliegen zu vernehmen, und man glaubt schon fast, der überlebensgroß gemalte Tigerschnegel wolle uns die Wahrheit über das Beginnen und das Vergehen sagen, aus deren Traum er gerade erwacht zu sein scheint.

In seinem Werk appelliert Nils Franke an unser Bauchgefühl, an unser Unbewusstes, denn er beansprucht es nicht für sich, das Erklärbare zu schaffen, wenn er meisterhaft den Pinsel zu seinem Sprachrohr macht; und genau das ist die Stelle, auf die sein Werk abzielt – die Schnittstelle zwischen Erklärbarkeit und freier Assoziation.

Wie ein gedächtnisartiges Festhalten von Geschichten in an Traumwelten grenzenden, sich im Dunkel der Dämmerung verlierenden Hintergründen lässt er uns die Geschichten von diesem Früher, aus dem sein Erzählen ist, als Momentaufnahmen in der Manier der Postmortem-Fotografie erscheinen.

Dort wird er zum Spieler; dort tauchen Elemente auf, die unsere übermächtige Ratio nie zulassen würde; dort fordert er uns heraus, und es ist nicht die schlechteste Entscheidung, diese Herausforderung anzunehmen, ihm in die Tiefen seiner Bilder zu folgen, die Patina der Zeit bröckeln zu lassen und mehr und mehr in uns hineinzuhören.

Hübscher Junge 1, 35x29cm, Öl auf Leinwand. Werk von & © Nils Franke
Hübscher Junge 1, 35x29cm, Öl auf Leinwand. Werk von & © Nils Franke

Über den Künstler und sein Werk

Nils Franke wurde 1981 in Radebeul geboren. Ab 2004 bis 2011 absolvierte er ein Studium der Malerei bei Prof. Astrid Klein an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 2012–2015 folgte ein Meisterstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden bei Prof. Peter Bömmels. Nils Franke lebt und arbeitet in Leipzig. Weitere Informationen auf seiner Website.

Ausstellungen im letzten Jahr:
„UND DU. HOMUNKLUS“, Potemka Contemporary Art, Leipzig
„ICH“, Galerie Kunstreich, Kempten/Allgäu
„Kopfkino“, 10. Heise Kunstpreis, Alte Feuerwache, Dessau

Auszeichnungen:

2017 Heise-Kunstpreis
(Publikumspreis)

2016 item-Kunstförderpreis
(Nominierung)

2016 artig-Kunstpreis
(Einladung zur Einzelausstellung)

2016 Provokateure
(Themenwettbewerb)

2013 Heise-Kunstpreis
(Hauptpreis)

2007 DAAD-Austauschstipendium

Nils Müller, geboren 1990 in Leipzig, lebt ebenda als freischaffender Autor. Er hat den Begriff der Kunst als Gewissen der Menschheit in sich aufgenommen und gibt diesen Auftrag an die Leser und Zuhörer weiter. Seine Texte wurden bisher in den Literaturzeitschriften FreiDenker, Syrinx Magazine, neolith- Magazin und dem Magazin des Unternehmens "bring together" sowie im Webzine "The Leipzig Glocal" veröffentlicht.

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