“Warst Du Kind genug?”: Teil 4
Lena Inosemzewa stellt uns Kindertage hinter verwischten Scheiben vor. Scheinbar ungewollte Flecken, Tupfen und Tropfen bilden hier eine Patina, ein Gegengewicht zur erinnerten Zeit.

Es ist nicht sicher, ob der Schatten ein Schatten, oder ob er ein Gast ist. Wenn sie uns das Lied von ihrer Heimat Kasachstan singt, meint man, diesen Hof, die Gartenlaube und die Kinder selbst erlebt zu haben. Hier werden wir an die Hand genommen und beginnen, durch den Garten der eigenen Erfahrbarkeit zu laufen.
Auch der Unrat in diesem Hof wird glaubhaft, denn hier wird gelebt. Der Winter mit seinem lila Licht ist uns vertraut, wie auch der Arbeiter hinter dem Fenster, der etwas Heißes trinkt.

Wie im Flug gräbt sie die Farbe in die Leinwand, wie auch die Kindheit in uns gepflanzt wurde. Es sind Bilder, die schnell gemalt wurden, wie auch die Erinnerungen ihrer Malerin, als Leuchtstreifen kaum erschienen, schon wieder im Verglühen sind. Spüren wir ihrem Farbauftrag nach, ahnen wir eine zweifache Schöpfung aus Erinnerung und Malerei.
Lena Inosemzewa macht uns nichts vom großen Unbefleckten vor.
Vielmehr zeigt sie uns, dass auch unser Zurückgehen in unsere Kinderjahre unvollkommen ist; dass es verschwimmt und uns täuscht.
Wie eine kluge Bauerstochter lässt sie die Sonne aufgehen oder nicht, lässt Schnee liegen oder nicht, es kalt werden oder nicht.
So rasch wie ein Augenblick ist auch Inosemzewas Grafik: Wo die Tusche verläuft, wachsen den Blumen Köpfe, vertiefen sich Schatten und tritt ein Körper aus der Tiefe. Aus dem Saft der Tusche erwachsen Bäume, wie Adern auf den Köpfen der Hundertjährigen, die noch heute in Kasachstan vor den Häusern sitzen und im Lachen und Erzählen noch immer Kinder sind.
Zur Künstlerin
- 1975 in Kasachstan geboren
- Kunststudium in ihrer Heimatstadt Semipalatinsk
- Arbeit als Kunstpädagogin, Illustratorin und Bühnenbildnerin sowie Journalistin und Redakteurin
- Studium: Slawistik und Kunstgeschichte
- Begründerin des deutsch-russischen Literaturzirkels buterbrod
- Heute lebt und arbeitet sie als freischaffende Künstlerin malerisch und literarisch in Leipzig
Ausgewählte Ausstellungen:
- Okt–Dez 2016: Gruppenausstellung im Museum der bildenden Künste, Semipalatinsk, Kasachstan
- 15.10.–27.11.2015: „Symptoms of the City“, Gallery Planet, Seoul, Südkorea
- 15.–20.11.2014: Gruppenausstellung „peace-art-nature“ im Ulucanlar-Cezaevi-Kunstmuseum, Ankara, Türkei
- 28.09.–01.10.2014: Kunstsymposium und Gruppenausstellung „Yalnizca Barışa Taraf“, Kandira, Türkei
- 16.03.–12.04.2013: Personalausstellung „liquid words“, Malerei und Zeichnung, Galerie Fango, Cottbus
- 05.07.–15.09.2012: Personalausstellung „Vertraute Gesichter“, Mehrweg e.V., Kulturbetrieb „WolkenSchachLenkWal“ (WSLW), Leipzig
- Seit 2012: Werkschau im G11 art project, Spinnerei, Leipzig
- 01.05.–01.06.2008: Gruppenausstellung „Malerei und Grafik“, Kunstsalon des Vereins Beistandsleistung e.V., Leipzig
- 01.09.–28.10.2005: Gruppenausstellung „Brückenschlag – Sichten Leipziger Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion“, Stadtbibliothek, Leipzig
- 01.09.–31.10.1997: Gruppenausstellung „Herbstsalon“, Museum der bildenden Künste, Semipalatinsk, Kasachstan
Buchillustrationen:
- 2002–2014: Oleg Akulov (Hg.): Penaty. Jährlicher Almanach, Leipzig
- 2003: Anatolij Grinvald: Die Stadt aus der Tinte. Lyrik, Tula
- 2005: Andreas Diehl: Abschied ins dritte Land. Lyrik, Berlin
- 2012: Buterbrod. NRST, Leipzig
- 2012: Nadezhda Seredina: Wildwuchs. Erzählungen. ILB, Leipzig/Woronesch
- 2012: Sergej Popow: Seifenblase. Roman. NRST, Leipzig
Theater:
1998 (Uraufführung): Bühnenbild und Kostüme zu Edward Albee: „Alles im Garten“, russisches Staatstheater in Semipalatinsk, Kasachstan, Regie: G. Fjodorov
Preise:
2014: Nominierung für den renommierten russischen Literaturpreis – „Russkaja Premija“

(Meine Idee ist, literarische Texte zum Werk in Leipzig ansässiger Künstler zu verfassen. Ich möchte meine Eindrücke schildern, um die Leser auch auf weniger bekannte Künstler der Stadt aufmerksam und ihre Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.)

Cover photo: Im Schatten; detail. Bild © Lena Inosemzewa